Ronald M. Hahn
Ich sah Hans Joachim Alpers erstmals 1969 in Düsseldorf auf einem Con des Science Fiction Club Deutschland, dessen Hauptziel darin bestand, das »Establishment« zu entmachten. Ich war ein 21 Jahre alter, frisch verheirateter dummer Junge und politisch gänzlich unbeleckt. HJA, wie er genannt wurde, saß im Kreise der als prokommunistisch verschrienen Rotgardisten der Zeitschrift Science Fiction Times ganz friedlich an einem Tisch und sagte nur was, wenn er gefragt wurde. Die Revolution fand übrigens nicht statt, aber ich lernte einen Haufen nette Burschen kennen und bekam Einblick in die damalige SF-Szene.
Sechs Monate zuvor hatte mich die Bundeswehr eingezogen, wo ich mich flott politisierte. Trotzdem hab ich mich, obwohl Alpers und seine Genossen mich freundlich aufnahmen, 1969 noch nicht getraut, mit den großen Jungs zu reden, die durch die Bank 5 - 6 Jahre älter waren als ich, irgendwo irgendwas studierten und mich mit ihrem Wissen dermaßen beeindruckten, dass ich mich kaum traute die Klappe aufzumachen.
1970, der Barras hatte mich nach 18 Monaten mit einer hübschen Abfindung wieder ausgespuckt, sah ich HJA und die SFT-Clique in der Heidelberger Stadthalle wieder. Dort veranstaltete das internationale SF-Fandom vom 20. bis 24. August die 28. World Convention. Mein Selbstbewusstsein war inzwischen soweit gewachsen, dass ich mich traute, mit all den Leuten zu sprechen, die sich sehr wortgewandt und teilweise polyglott mit SF-Fans aus aller Welt unterhielten und von der Empore aus Flugblätter gegen den Vietnamkrieg auf die baffen (meist amerikanischen) Fans herabregnen ließen.
HJA (26), der hauptberuflich als Ingenieur an einer Bremerhavener Schiffswerft tätig war, kannte ich bisher nur als kompetenten und seriösen SF-Rezensenten, doch an diesem Wochenende erfuhr ich überraschenderweise, dass er auch schon als Schriftsteller tätig gewesen war: Er hatte 1967 unter dem Pseudonym Jürgen Andreas eine Kurzgeschichtensammlung in Heftreihe Terra publiziert. Ich kriegte es eher im Vorbeigehen mit, und zwar als er zu dem Moewig-Lektor Günther M. Schelwokat (er war so ’ne Art deutscher John W. Campbell) sagte: »Keine Sorge, ich werde Sie nicht mehr mit Manuskripten belästigen.«
Schelwokat erwiderte: »Ich würde mich gar nicht belästigt fühlen, Herr Alpers.«
Mir fiel die Kinnlade runter. Ich kannte jemanden, der schon bei Terra, meiner Leib- und Magenreihe veröffentlicht hatte! Ich wusste nichts davon, weil HJA ein unglaublich stiller, nie auf die Pauke hauender oder mit seinen Erfolgen protzender Bursche war: ER war der dröge Norddeutsche, wie er im Buche steht; ein Mann, der niemals Zoten riss, niemandem auf die Schulter kloppte oder jemanden an seinem Innenleben teilhaben ließ. Wir wussten nicht mal, ob er schwul oder hetero war. Als er mir auf meine Nachfrage hin erzählte (von sich aus hätte er es nie getan), unter welchem Namen sein Werk erschienen war, war ich platt: Ich hatte es nicht nur gelesen; ich erinnerte mich auch mit Vergnügen an die Erzählung Der geraubte Engel, die mehr Fantasy als SF war.
1971 hatte ich dann (von einer Fan-Story in der Serie Ren Dark abgesehen) meine erste honorierte Veröffentlichung, der rasch ein halbes Dutzend weitere folgten, bevor ich Ko-Herausgeber der Taschenbuchreihe Fischer Orbit wurde und jede Menge Romane verfasste und übersetzte sowie für Zeitungen, Zeitschriften und den Rundfunk schrieb.
Über die Jahrzehnte hinweg verfolgte ich jedoch immer den Plan, die Story Der gestohlene Engel zu einem Roman auszuweiten, da ich meinte, dass sie das Zeug dazu hatte. Ich erzählte HJA davon, der gerade in den expandierenden Verlag Fantasy Productions eingestiegen war. Die Idee gefiel ihm, und er sagte »Ja, mach mal« und »Schreib das Ding aber allein. Ich hab für sowas keine Zeit mehr.«
Da ich ebenfalls saugut im Geschäft war, hatte ich alles, nur keine Zeit, um mal nebenbei einen Fantasy-Roman zu schreiben. Dazu kam: Wenn man einmal im Profi-Lager sitzt, macht man nix mehr ohne Vertrag, in dem drinsteht, wie viele Millionen der Verleger blechen will. Und Verleger unterschreiben Verträge aber nur dann, wenn sie ein Exposé gesehen haben und wissen, wann man die Ware abliefert.
Da ich dazu nie Zeit hatte, gingen die Jahre ins Land. Irgendwann, vermutlich beim Begutachten eines Kontoauszugs mit schwarzen Zahlen, sagte ich mir dann: Jetzt setzt du dich hin! It’s now or neva!
Ich nahm mir zwei Monate frei, las HJAs Geschichte noch mal gründlich durch, weitete sie, da der Held ein Halbwüchsiger ist, zu einem pfiffigen Jugendbuch aus und bot es meinem Hausverlag an. Leider war der Herr Verleger kurz zuvor verstorben, und der Verlag ging gerade in fremde Hände über. Im neuen Unternehmen wurde ungefähr gleichzeitig ein Geschäftsführer gegen den anderen ausgetauscht und die Lektorinnen litten alle an rasender Fluktuation. In dem neuen Laden wusste die Rechte nicht, was die Linke tat, und jeder neue Kontaktaufnahmeversuch endete damit, dass man jemanden an die Strippe bekam, der neu im Unternehmen war, von nix wusste und noch nie was von meinem tollen Roman gehört hatte. »Wer sind Sie noch mal?«
Das Manuskript war verschwunden, was ich aber erst nach zahllosen Monaten erfuhr. Als ich den neuen Ausdruck verschickte, hatten Geschäftsführung und Lektorat mal wieder gewechselt und das Spielchen begann von neuem. Die dort tätigen Damen wussten niente über die ca. 40 Bücher, die HJA und ich im Vorgängerunternehmen veröffentlicht hatten. Ich klagte ihm mein Leid, und er sagte: »Macht nix, der Dingsbums Verlag in Hamburg, der mein letztes Buch rausgebracht hat, wird das Ding schon kaufen.« Er hatte den Satz kaum ausgesprochen als auch dieses Unternehmen in andere Hände wechselte und das Lektorat auf die Färöer-Inseln auswanderte. Ein Manuskript folgte dem anderen und verschwand mit den Lektoren, die immer versprachen, es zu lesen. Auf den Dingsbums Verlag folgten Gelbmanns Goldige Taschenbücher. Dort passierte das Gleiche. Es war wie verhext.
Weitere Jahre gingen ins Land. Ich stand kurz vor der Rente und sagte mir: »Du bis zu reich und zu alt für diesen Scheiß. Gib es auf.« Ich hatte keinen Bock mehr, Manuskriptausdrucke herzustellen; Herstellung und Versand dieser Dinger hatten mich inzwischen um die 500 Öcken gekostet.
Es war eine Zeit, in der vielen Lektoren der Arsch auf Grundeis ging und eine Menge Verlage von in- und ausländischen Konzernen gekauft und wieder verscherbelt wurden. Dazu kam noch, dass sämtliche Lektoren, mit denen wir unser Leben lang zu tun gehabt hatten, in Rente gingen, da sie leider alle ein paar Jahre älter waren als wir. Ihre Nachfolger, oft impotente Nullen, trauten sich nicht zu experimentieren und hielten ständig nach einem neuen Harry Potter Ausschau.
Dann starb auch Hans Joachim Alpers. Als ich gerade beschlossen hatte, das Manuskript nicht mehr zu verschicken, sondern es irgendwann selbst zu verlegen (dank Book-on-Demand hatten sich inzwischen neue Möglichkeiten aufgetan), lief mir der wackere Eckhard Schwettmann übern Weg, als Lektor und Ruhrpöttler ein Fisch in allen Wassern, der auch schon mal für Perry Rhodan tätig gewesen war. Er war sehr angetan von unserem Werk und wollte es – schön gestaltet – in einem religiös geprägten merkwürdigen kleinen Verlag in Moers herausbringen.
Ich war ebenfalls begeistert und träumte von einem riesigen Honorarvorschuss und einem Eintrag in die Spiegel-Bestsellerliste. Als ich jedoch zu hören bekam, was der merkwürdige kleine Verlag aus Moers blechen wollte (25% weniger als jeder anständige Heftchenverleger), sagte ich zum ersten Mal in meinem Leben: »Nimm’s mir nicht übel, aber das vergessen wir lieber.«
Eckhard drückte sein Verständnis aus. Übrigens ist auch er kurz darauf gestorben.
Ronald M. Hahn und Hans Joachim Alpers:
WILLKOMMEN IN GNOMISTAN -
COMPUTER-KID IM MÄRCHENLAND
(Apex-Verlag - 2017)
Ein komischer Fantasy-Roman
Deutsche Erstveröffentlichung
ISBN: 978-3-73969717-8
E-Book - 260 Seiten